Chance für Menschen mit Sehbehinderung

Die unter dem Beitrag genannten Personen posieren im Halbkreis für das Foto.
GEILENKIRCHEN:  Ein neuer Job in einer Verwaltung soll Menschen mit Sehbehinderung eine neue Perspektive bieten. Möglich macht dies das Berufsförderungswerk in Düren. Zwei Beispiele aus dem Kreis Heinsberg:

Esther Moysig hat den Beruf einer zahnmedizinischen Fachangestellten erlernt. Doch aufgrund einer Augenerkrankung hatte sie immer größere Probleme, ihren Beruf auszuüben. Anstatt dem Zahnarzt zu assistieren, arbeitete sie überwiegend nur noch an der Anmeldung, was aber nicht Sinn ihrer Ausbildung war. Und so wandte sie sich an das Berufsförderungswerk in Düren, das seit vielen Jahren berufliche Qualifizierungen von sinnesbehinderten Menschen anbietet. Hauptsächlich handelt es sich um Umschulungsmaßnahmen für blinde oder sehbehinderte Menschen zum Verwaltungsfachangestellten. 

„Nach einem Vorstellungsgespräch wurde ich 14 Tage lang getestet, man wollte herausfinden, wo meine Stärken und meine Schwächen liegen“, blickt sie auf den Beginn ihrer neuen Ausbildung zurück. Dann ging es in eine Vorbereitungsphase: Computerprogramme wie Word und Excel standen ebenso auf ihrem Stundenplan wie Mathematik. Unterrichtet wurde sie mit ihren Mitschülern von Dozenten des Berufsförderungswerkes. Seit Beginn des Jahres absolviert sie ein dreimonatiges Praktikum in der Stadtverwaltung Geilenkirchen. Hier wird die junge Frau von Hauptamtsleiter Joachim Grünewald in die Verwaltungsarbeit eingewiesen.

Marzena Effertz ist schon einen Schritt weiter: Nach einer Erkrankung konnte auch sie ihren erlernten Beruf nicht mehr ausüben und ist nach einer Landesqualifizierungsmaßnahme beim Berufsförderungswerk Düren sogar zu einer Festanstellung bei der Kreispolizei Heinsberg gekommen. „Das Berufsförderungswerk in Düren bietet die Chance, eine komplett neue Ausbildung zu absolvieren und auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen“, wirbt Geilenkirchens Bürgermeisterin Daniela Ritzerfeld für die alle Seiten gewinnbringende Zusammenarbeit.

So sieht es auch der Heinsberger Landrat Stephan Pusch, Chef der Kreispolizei: „Auch die öffentliche Verwaltung hat Probleme, qualifizierten Nachwuchs zu finden. Und demnächst gehen die geburtenstarken Jahrgänge in Pension. In Zeiten der Digitalisierung haben sich auch die Möglichkeiten des qualifizierten Lernens und Arbeitens geändert.“ Künftig gebe es ohnehin immer mehr elektronische Akten und papierlose Ämter. „Wir wollen im Kreis Heinsberg beispielhaft vorangehen“, sagt er und fragte sich, ob man solch ein Landesprogramm nicht auch auf die Kommunen übertragen kann. „Für die Kommune wäre solch ein Programm eine Chance, gute Mitarbeiter zu finden. Diese Chance muss man nutzen“, hofft der Landrat auf eine noch engere Zusammenarbeit mit dem Berufsförderungswerk und verspricht: „Wir sind es gewohnt, dicke Bretter zu bohren. Und dieses dicke Brett werde ich bohren.“

Auch Wolfram Siebert, Teamleiter Verwaltungsberufe beim Berufsförderungswerk Düren, meint: „Die Technik ist ein Segen für Menschen mit Sehhinderung.“ Heiko Hermanns, stellvertretender Leiter der Direktion Kriminalität bei der Kreispolizei Heinsberg, erklärt: „Mit Frau Effertz haben wir eine hoch motivierte und qualifizierte Mitarbeiterin gewonnen.“

Die Mitarbeiter des Berufsförderungswerkes trainieren die Mobilität und die lebenspraktischen Fähigkeiten, unterstützen bei der Jobsuche, beim Bewerbungsverfahren, bei Vorstellungsgesprächen und beim Arbeitsantritt. Hierfür arbeiten sie eng zusammen mit Leistungsträgern, Arbeitgebern, Kliniken, Augenärzten und weiteren Netzwerkpartnern.

Geilenkirchen sei die einzige Kommune im Kreis Heinsberg, die die Möglichkeit geboten habe, einem Schüler des Berufsförderungswerkes eine Praktikumsstelle anzubieten, lobt auch Heinz Pütz, Behindertenbeauftragter der Stadt Geilenkirchen, Dozent beim Berufsförderungswerk und Vorsitzender des Fördervereins Berufsförderungswerk Düren. „Wenn es um Menschen mit Behinderung geht, sind wir in vielen Dingen die Ersten“, meinte er.

Seit 25 Jahren gebe es nur in Nordrhein-Westfalen für arbeitslose Schwerbehinderte die Möglichkeit, für eine Tätigkeit im Land qualifiziert zu werden, sagt Pütz und erinnert auch an eine „Fürsorge- und Integrationspflicht“. „In Nordrhein-Westfalen ist es gelungen, solche Maßnahmen mit Leben zu füllen und den behinderten Menschen eine Perspektive zu geben, auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu hassen.“ In solche Projekte hat Pütz viel Herzblut gesteckt. „Jetzt müssen wir diese Landesqualifikation auf die Kommunen ausdehnen“, fordert er.

(Artikel aus der AZ/AN vom 18. Februar 2022,

Bildbeschreibung: Bürgermeisterin Daniela Ritzerfeld, Esther Moysig, Landrat Stephan Pusch, Wolfram Siebert, Heiko Hermanns, Joachim Grünewald, Marzena Effertz und Heinz Pütz (von links) freuen sich über die gelungene Kooperation. Foto: zva/Udo Stüßer)