Mein Name ist Dorothee, ich bin seit meiner Geburt im Jahr 1991 gesetzlich blind und möchte Ihnen einen kleinen Einblick in meine Berufsbiografie gewähren.
Ich verfüge noch über einen Sehrest, d. h. Situationen, die sich sehr dicht vor meinem Gesichtsfeld abspielen, sowie Hell und Dunkel kann ich noch erkennen. Für die Mobilität nutze ich meinen Langstock oder meine Blindenführhündin.
Ich habe nach der mittleren Reife ein freiwilliges soziales Jahr absolviert. Außerdem führte ich viele Jahre als Guide beim Dialoghaus in Hamburg Besucher durch die dunklen Ausstellungsräume. Durch die beiden beruflichen Tätigkeiten war mir klar, dass ich im sozialen Bereich arbeiten möchte. Aufgrund dessen habe ich in Hamburg eine Yoga-Lehrer-Ausbildung erfolgreich abgeschlossen, die mir sehr viel Spaß gebracht hat. Natürlich war ich die Einzige im Kurs, die eine Sinneseinschränkung hatte, was mir aber auch viel Bewunderung der anderen Teilnehmenden eingebracht hat. Auch die Ausbilder waren alle sehr angetan und haben mir sehr viel gezeigt, vor allem die richtige Platzierung der Übungen zur Schmerzlinderung.
Mein Restsehen hat sich die letzten Jahre sehr verschlechtert und Lupe, Bildschirmlesegerät und die Vergrößerungssoftware reichten nicht mehr aus. Auf Vorschlag der Agentur für Arbeit Hamburg habe ich die Blindentechnische Grundrehabilitation des BFW Düren in der Außenstelle Hamburg absolviert. Dort habe ich die Braille-Schrift und den Screenreader JAWS kennengelernt. Die Grundreha hat mir sehr viel Selbstständigkeit im Umgang mit dem Computer gegeben, den ich nun blind nutzen kann.
Den Vorschlag, im Anschluss in eine zweijährige Ausbildung im Bereich der Bürokommunikation zu starten, habe ich jedoch abgelehnt – ich sehe mich einfach nicht im Büro. Viele Menschen können sich nicht vorstellen, dass blinde Menschen andere Berufe als Bürotätigkeiten ausüben können. Ich musste mich oft aufgrund meiner Behinderung erklären, aber ich habe schon immer das gemacht, was mir Spaß macht und habe es immer irgendwie geschafft, an mein Ziel zu kommen.
Also habe ich mich entschieden, an einer Fortbildung zur Betreuungskraft teilzunehmen. Wegen meiner Behinderung musste die Schule sehr kooperativ sein und mir alle Materialien digital zur Verfügung stellen, das klappte sehr gut. Im Anschluss, habe ich ein Orientierungspraktikum in einer Tagesstätte für Senioren durchlaufen. Dort konnte ich herausfinden, ob ich mir diesen Job überhaupt vorstellen kann und ob das mit meiner Behinderung funktionieren würde. Das Praktikum war Voraussetzung für den Betreuungskurs, in dem ich unterschiedliche Betreuungsangebote, wie z.B. Singen, Gesprächskreise, Spazieren gehen und Gedächtnistraining durchführen konnte.
Nach dem Orientierungspraktikum durfte ich mit dem Fortbildungskursus bei der Volkshochschule starten. Der Kurs bestand aus drei Blöcken: zwei Theorieteile, unterbrochen durch ein weiteres Praktikum. Von Beginn an wurde ich sehr herzlich und gut von den anderen Mitausbildern und Dozenten aufgenommen. Sie fanden es alle spannend und beeindruckend, dass ich die Fortbildung machte. Die theoretischen Materialien habe ich sowohl auf Papier als auch in digitaler Form erhalten. Die Dozenten waren alle sehr engagiert und unterstützen mich in jeder Form. Die verschiedenen Prüfungen konnte ich alle an meinem Laptop, anstatt auf Papier schreiben.
Während eines Praktikums war ich in einer Senioreneinrichtung auf einer Station, auf der 25 Bewohner*innen mit unterschiedlichen Einschränkungen oder Demenz wohnten und konnte dort verschiedene Beschäftigungsangebote durchführen, wie z.B. das Gedächtnistraining und das Bewegungsangebot. Ich habe mich viel mit den Bewohnern unterhalten und konnte so noch nicht dokumentierte Informationen für zwei Biografien in Erfahrung bringen.
In diesem Praktikum war auch die Dokumentation der Biografie, Anamnese und Medikation schriftlich auszuarbeiten. Mit zwei Bewohnern sollte ich kurze Aktivierung/Beschäftigung durchführen. Ich habe mir zwei ähnliche Bewohner ausgesucht und mit ihnen unterschiedliche Materialien, die ich zusammengesucht habe, ertastet. Dies hat während meiner praktischen Prüfung auch sehr gut funktioniert, da die Bewohnerin sehr viel Freude daran hatte. Die Praxisanleiterin und Bewohner*innen der Einrichtung waren alle sehr überrascht, was man alles als blinder Mensch schaffen kann.
Nach dem erfolgreichen Abschluss der Fortbildung zur Betreuungskraft bin ich aktuell auf Jobsuche und zuversichtlich, nun auch den passenden Arbeitgeber zu finden.
Ich denke, dass jeder gehandicapte Mensch für sich schauen muss, dass der Job passend ist und Freude bereitet. Jeder Mensch ist einzigartig und sollte seine Potenziale entfalten können.
Generell sollte einer (beruflichen) Inklusion ohne Barrieren zukünftig nichts im Wege stehen dürfen.